Judikat BVwG: „Fußballexperte“ – kein freies Dienstverhältnis nach § 4 Abs 4 ASVG

Sachverhalt:
Die NÖGKK stellt fest, dass Herr M als vollversicherter freier Dienstnehmer gemäß § 4 Abs 4 ASVG anzusehen sei! Aus dem übermittelten Fragebogen ergeben sich folgende Indizien:

Zu seinen Tätigkeiten würden Studioauftritte, Stadionauftritte, der Besuch von Veranstaltungen sowie die Vorbereitung auf die Sendungen (durch z. B. Zeitungen, Fernsehen, Internet, Interviews, etc.) gehören. Er übe seine Beschäftigung sowohl in den Räumlichkeiten des Senders, in in seinem Besitz stehenden Räumlichkeiten oder auch in anderen Räumlichkeiten (ganz Österreich) aus. Außerdem übe er seine Tätigkeit auf eigene Rechnung und Gefahr aus. Herr M sei zur persönlichen Arbeitsleistung verpflichtet und könne sich nicht jederzeit aus eigenem vertreten lassen. Seine Entlohnung erfolge leistungsabhängig und es würden keine Betriebsmittel vom Dienstgeber zur Verfügung gestellt werden. Er selbst stelle sein Kfz, seinen Computer, sein Know-How, Fachliteratur, Internet und sein Mobiltelefon bei. Herr M arbeite weisungsfrei und unterliege keiner Kontrolle. Das gesamte unternehmerische Risiko trage er selbst. Weiters gab er an, dass im Rahmen eines mündlichen Werkvertrages tätig sei und ein fixer Tagessatz von 1.000,00 € vereinbart wurde. Honorarnoten würden pro Sendung gestellt werden. Seine Tätigkeit würde darin bestehen, Fußballspiele bzw. einzelne Szenen daraus mit seiner eigenen Meinung zu analysieren. Herr M werde ca. vier Wochen zuvor gefragt, ob er am Tag des Spieles (der Spiele) Zeit habe. Falls er keine Zeit habe, werde ein anderer Fußballexperte gefragt. Herr M könne nicht irgendjemanden schicken. Es werde vom Sender aus einem Kreis von Experten entschieden, wer statt ihm komme. Für alle Spiele und alle Tore würden ca. 25 Minuten Redezeit zur Verfügung stehen. Der Beschwerdeführer sei dem Vereinsredakteur und einigen Mitarbeitern der Redaktion persönlich bekannt gewesen und daher sei er gefragt worden, als Fußballexperte zu arbeiten.

Lt Ansicht der NÖGKK bestand ein freies Dienstverhältnis gemäß § 4 Abs 4 ASVG! Gegen den Bescheid wurde beim BVwG eine Beschwerde eingebracht.

Aussagen des BVwG:
Das BVwG fasst nochmals die wesentlichen Punkte der Stellungnahmen bzw. der mündlichen Verhandlungen zusammen

Für die Abgrenzung des (freien) Dienstvertrages vom Werkvertrag kommt es darauf an, ob sich jemand auf gewisse Zeit zur Dienstleistung für einen den Dienstgeber verpflichtet. In einem solchen Fall liegt ein Dienstvertrag vor. Wenn er die Herstellung eines Werkes gegen Entgelt übernimmt, läge ein Werkvertrag vor, wobei es sich im zuletzt genannten Fall um eine im Vertrag individualisierte und konkretisierte Leistung, also eine in sich geschlossene Einheit handelt. Gemäß Erkenntnis des VwGH vom 29.02.2012, Zl. 2008/13/0087, besteht ein Werk im Sinne des § 1165 ABGB nicht allein in der Herstellung einer körperlichen Sache, sondern können auch ideelle, unkörperliche und somit auch geistige Werke darunter subsumiert werden. Für die Erbringung bestimmter Tätigkeiten wird man einen Werkvertrag grundsätzlich ausschließen können, weil es sich um klassische Dienstleistungen handelt und ein gewährleistungstauglicher Erfolg nicht sinnvoll definiert werden kann.

Wird der Vertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen und endet er nicht mit dem Abschluss eines Werks, spricht das gegen einen Werkvertrag. Erst recht spricht bei einer immer wiederkehrenden oder kontinuierlichen Leistungserbringung die Typizität im Zweifel für einen freien DV oder Arbeitsvertrag.

Herr M war für den Sender unbefristet gegen Entgelt tätig. Seine jeweiligen Aufträge wurden jeweils im Vormonat für den kommenden Monat vereinbart, sodass eine wiederkehrende oder kontinuierliche Leistungserbringung entstand, die das Vorliegen von einzeln zu erbringenden Werkverträgen durch Herrn M für den Sender ausschließt. Zudem kann auch der Tätigkeit des Herrn M ein einem Werk innewohnender gewährleistungstauglicher Erfolg nicht entnommen werden, wurden doch keine Qualitätskriterien im Vorhinein definiert oder im Zuge des Verfahrens vorgebracht.

Unstrittig ist im Beschwerdefall, dass Herr M für einen Dienstgeber im Sinn des § 4 Abs. 4 Z 1 ASVG entgeltlich und im Wesentlichen persönlich tätig war. Vorgebracht wird, dass er über wesentliche eigene Betriebsmittel verfügt und diese in ein Anlageverzeichnis aufgenommen habe.

Die belangte Behörde hat die Qualifikation der genannten Sachmittel als wesentliche Betriebsmittel verneint, da die genannten Betriebsmittel einerseits überhaupt erst (zum Teil lange) nach Aufnahme der Tätigkeit für den Sender von Herrn M angeschafft worden seien und zum anderen es sich dabei um Mittel des allgemeinen Gebrauchs handle. Darüber hinaus würden Handy und Kamera aufgrund des geringen Anschaffungspreises ohnehin als geringwertige Wirtschaftsgüter gelten. Darauf kommt es aber, wenn die Mittel in das Betriebsvermögen aufgenommen worden sind, nicht an:

Im Erkenntnis vom 23. Jänner 2008, Zl. 2007/08/0223, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass bei der Beurteilung der Verfügung über wesentliche Betriebsmittel im Sinn des § 4 Abs. 4 ASVG zu untersuchen ist, ob sich der freie Dienstnehmer mit Betriebsmitteln eine eigene betriebliche Infrastruktur geschaffen hat. Dabei ist es in erster Linie in der Ingerenz eines (potentiellen) freien Dienstnehmers gelegen, ob er über eine unternehmerische Struktur verfügen möchte oder nicht, ob er also seine Tätigkeit grundsätzlich eher arbeitnehmerähnlich (d.h. keine Tätigkeit für den "Markt", sondern im Wesentlichen für einen Auftraggeber oder doch eine überschaubare Zahl von Auftraggebern, ohne eigene betriebliche Struktur, gegen gesonderte Abgeltung von Aufwendungen, wie zB durch Kilometergelder, Ersatz von Telefonkosten etc.) ausführen möchte oder ob er eher unternehmerisch tätig sein und das entsprechende wirtschaftliche Risiko tragen will (d.h. zB - losgelöst vom konkreten Auftrag - spezifische Betriebsmittel anschafft, werbend am Markt auftritt, auch sonst über eine gewisse unternehmerische Infrastruktur verfügt und seine Spesen in die dem Auftraggeber verrechneten Honorare selbst einkalkuliert). Auch in Fällen, in denen eine unternehmerische Organisation bestimmten Ausmaßes nicht klar zutage tritt, ist ein Betriebsmittel grundsätzlich dann für eine Tätigkeit wesentlich, wenn es sich nicht bloß um ein geringwertiges Wirtschaftsgut handelt und wenn es der freie Dienstnehmer entweder durch Aufnahme in das Betriebsvermögen (und die damit einhergehende steuerliche Verwertung als Betriebsmittel) der Schaffung einer unternehmerischen Struktur gewidmet hat oder wenn es seiner Art nach von vornherein in erster Linie der in Rede stehenden betrieblichen Tätigkeit zu dienen bestimmt ist.

Die demnach maßgebliche eigene unternehmerische Infrastruktur ist im Fall des Herrn M zu bejahen. Er nahm nicht die Infrastruktur des Senders in Anspruch, sondern verfügte - laut Verzeichnis des Anlagevermögens - über einen Laptop, dessen Anschaffungswert jedenfalls die Geringfügigkeit übersteigt, als Einlage und jedenfalls ab Ende 2013 über ein eigenes Bürohandy und -kamera sowie ab Juni 2014 über einen Fernseher, dessen Anschaffungswert jedenfalls die Geringfügigkeit überstieg. Wenn auch es sich auch bei einem Laptop, einem Handy, einer Kamera und einen Fernseher um Mittel des allgemeinen Gebrauchs handelt, wurden sie durch die Aufnahme in das Anlagevermögen aber eindeutig einem unternehmerischen Zweck gewidmet.

In einer Gesamtbetrachtung erweisen sich die im Eigentum des Beschwerdeführers stehenden Betriebsmittel als im Sinn des § 4 Abs. 4 ASVG wesentlich für seine Tätigkeit als Fußballexperte.

Der Beschwerde wurde durch das BVwG stattgegeben und somit bestand keine Pflichtversicherung nach § 4 Abs 4 ASVG.

Conlusio:
Und wieder eine Entscheidung, bei der die wesentlichen Betriebsmittel für den Ausgang „wesentlich“ sind. Leider sind viele Prüfer immer noch der Ansicht, dass Betriebsmittel des allgemeinen Gebrauchs nicht als „Betriebsmittel“ anzuerkennen sind. Wie aus dieser Entscheidung wieder ersichtlich ist, ist dies aber unerheblich!

(Siehe dazu BVwG W156 2122549, 13.12.2016)



[1] Herr M ist als Fußball-Experte im Auftrag des Senders tätig und gibt als solcher Expertisen zu Bundesligaspielen ab. Die Zusammenarbeit mit dem Sender ist unbefristet. Die einzelnen Termine werden jeweils im Vormonat für den nächstfolgenden Monat vereinbart, wobei die Aufträge an den Herrn M durch den Sender zwar kontinuierlich, jedoch in unregelmäßigen Abständen ergehen.

Die Vorbereitungszeit pro Auftrag umfasst ca. 12 Stunden, diese verbringt Herr M vor allem an seinem Wohnsitz. Er kann seine eigene Bekleidung bei den Übertragungen tragen. Es ist Herrn M erlaubt, bei Übertragungen Sponsorenaufdrucke sichtbar zu tragen und dafür Sponsoreneinnahmen zu lukrieren. Herr M verfügt über keine Zutrittskarte zu den Geschäftsräumlichkeiten des Senders, kein Firmenhandy, kein Firmenauto und keine Firmen-Visitenkarten. Er ist nicht weisungsgebunden und nicht in die Organisation eingebunden. Er führt keine Arbeits- und Urlaubsaufzeichnungen und meldet Erkrankungen nur aus Höflichkeitsgründen. Es besteht kein Konkurrenzverbot. Herr M kann bereits zugesagte Aufträge ohne Sanktionen absagen oder nicht wahrnehmen. Es besteht kein Nebenbeschäftigungsverbot und kann Herr M auch für Konkurrenzunternehmen tätig werden. Pro Einsatz erhält Herr M einen vereinbarten Fixbetrag.

Neben dieser Tätigkeit ist Herr M als Kolumnist bei einer Sportzeitung, Referent bei der Trainerausbildung des ÖFB und KFV, Referent bei der Sportunion NÖ, Referent und Prüfer bei der Trainerausbildung des NÖFV, Experte im Ausland zB für den ÖFB und hauptberuflich als Beamter beim niederösterreichischen Landesschulrat tätig. Herr m arbeitet mit eigenen Betriebsmitteln, ein Anlageverzeichnis ist vorhanden. Eine Marketingfirma wartet seinen Facebook-Account arbeiten an einer eigenen Homepage, an der er auch als Fußballexperte aufgelistet ist. Die Facebook-Seite ist seit ca. einem Jahr online und die Homepage demnächst.

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